UFZ-Forscher erstellen detaillierte Energiewende-Landkarte
Die Energiewende in Deutschland schreitet voran. Wasserkraft, Wind, Sonne und Biomasse lieferten 2015 etwa 35 Prozent des Stroms. Der ambitionierte Wandel zur klimafreundlichen Versorgung mit Energie vollzieht sich in allen Bundesländern. Doch regional klaffen große Unterschiede. Diese identifizierten nun Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ). In ihrer ersten Detailstudie zur räumlichen Struktur der deutschen Stromversorgung entstand eine detaillierte Energiewende-Landkarte. Sie stellt Vorreiter und Nachzügler unter allen 12.066 deutschen Gemeinden klar heraus und weist den Weg, wie Deutschland auch in Zukunft seiner globalen Vorbildrolle gerecht werden kann.
„Die dezentrale Energiewende ist Realität und findet flächendeckend über das gesamte Land statt“, sagt Prof. Dr.-Ing. Daniela Thrän, die am UFZ das Department Bioenergie leitet und gleichzeitig am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) forscht. Weit vorne rangieren Gemeinden an der Westküste Schleswig-Holsteins mit zahlreichen Windparks und Biogasanlagen. Stark bei der regenerativen Stromerzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse sind auch weite Gebiete in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Nachholbedarf haben dagegen Großstädte wie Berlin oder industrielle Ballungszentren in Hessen und Baden-Württemberg.
Das Team um Daniela Thrän untersuchte, wie weit der Wandel zur CO2-neutralen Stromerzeugung in allen 12.066 Gemeinden Deutschlands bereits vorangeschritten ist, und veröffentlichte die Ergebnisse im Fachblatt Applied Energy. Dafür analysierten die Forscher alle bis Mitte 2015 verfügbaren Daten zur Stromerzeugung und zum Stromverbrauch. Ergebnis ist eine Landkarte der deutschen Energiewende, auf der jede Bürgerin und jeder Bürger den Fortschritt seiner Heimatgemeinde erkennen kann. „Deutlich sticht eine räumliche Dissonanz zwischen Verbrauch und Erzeugung heraus“, sagt Daniela Thrän. Ländliche Regionen mit viel Platz für Wind- und Solarparks bei zugleich dünner Besiedelung erreichen so leichter eine gute Position. Verdichtungsräume mit hohem Industrieanteil haben dagegen noch größere Aufgaben zu bewältigen, ergänzt Sebastian Rauner, Erstautor der Studie.
In Deutschland steht die geballte Stromerzeugung der 770 konventionellen Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke den jeweils geringeren Strommengen der mehr als 1,5 Millionen im ganzen Land verstreuten Solar-, Biogas- und Windanlagen gegenüber. Diese Zahlen setzten die Forscher in Bezug zum regionalen Stromverbrauch. Durchschnittlich betrug dieser im Jahr 1,32 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Dicht besiedelte Städte und Industrieregionen kamen daher zwangsläufig auf höhere Werte als Flächengemeinden auf dem Land. „Aber ein Landbewohner ist daher nicht automatisch ein besserer Klimaschützer als ein Städter“, betont Daniela Thrän.
Für die Bewertung der einzelnen Gemeinden war den UFZ-Forschern das Zusammenspiel der regenerativen Stromerzeuger besonders wichtig. Wind- und Solarparks mit einer wetterabhängig schwankenden Stromerzeugung sollten im Idealfall mit flexiblen Kraftwerken, die etwa Biomasse oder Wasserkraft nutzen, kombiniert werden. Denn erst im Verbund ergibt sich eine hohe Versorgungssicherheit rund um die Uhr und über das gesamte Jahr. Auf der Grundlage dieser relevanten Aspekte entwickelten die Forscher einen Energiewende-Indikator (Smart Renewable Power Provision Indicator, SREPP), der nicht nur die schiere Strommenge, sondern auch die Flexibilität eines dezentralen Kraftwerkensembles berücksichtigt.
„Von Flensburg bis Konstanz, von Aachen bis Görlitz ist die deutsche Energiewende bisher auf einem guten Weg“, sagt Daniela Thrän. Doch in der nun einsetzenden Phase müssten die räumlichen Unterschiede verringert werden. „Anreizprämien für bisher wenig entwickelte Gebiete halte ich für einen wichtigen Aspekt im Hinblick auf kommende Reformen des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG)“, so die Umweltingenieurin. Mit einer stärkeren räumlichen Planung seien auch die ehrgeizigen Klimaziele Deutschlands, gekoppelt mit effektiver Absicherung gegen Blackouts und begrenztem Ausbau der Stromnetze, weiterhin erreichbar.
Daniela Thrän und ihre Kollegen werden auch in Zukunft den grundlegenden Wandel der deutschen Stromversorgung im Blick halten. Für 2017 planen sie die nächste Energiewende-Landkarte. Dann werden auch Daten zu Stromverbrauch und Stromerzeugung über das Jahr 2014 hinaus einfließen – wie etwa die Ausbeute der ersten Offshore-Windkraftwerke in Nord- und Ostsee. Auch die Akzeptanz der Bürger wollen die Wissenschaftler dann genauer ins Auge fassen, denn die ist für die Energiewende ein weiterer wichtiger, aber schwer zu messender Aspekt.
[DE] 04. Oktober 2016 – Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)www.ufz.de