Wissenschaftler fordern Überarbeitung des Zulassungsverfahrens
Nach Vorgaben der Europäischen Union darf die Anwendung von Pestiziden nicht zu einem Rückgang der Biodiversität führen. Eine Vielzahl von Studien zeigt aber, dass der derzeitige Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel schädliche Wirkungen auf Ökosysteme und die biologische Vielfalt hat. Deshalb fordert ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam Politik und Behörden auf, die reale Situation der Ökosysteme stärker zu berücksichtigen und das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel entsprechend anzupassen. Die Studie erscheint heute in der Fachzeitschrift Environmental Sciences Europe und formuliert außerdem Ideen, wie sich vorgegebene Umweltziele erreichen lassen.
Die aktuelle Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln verfehlt die angestrebten Umweltstandards und trägt zum Verlust von Biodiversität bei. Deshalb fordert nun eine Expertengruppe, an der unter anderem Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Koblenz-Landau beteiligt waren, Politik und Behörden auf, die reale Situation der Ökosysteme stärker als bislang zu berücksichtigen und das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel anzupassen. Damit soll die Lücke zwischen aktueller gesetzlicher Intention und Realität geschlossen werden.
Prof. Matthias Liess, Leiter des Departments System-Ökotoxikologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), ist Mitglied der Expertengruppe. Er sagt: „Unsere Forschungsarbeiten zeigen bereits seit vielen Jahren, dass die Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln in den Gewässern der Agrarlandschaften hoch sind, in vielen Fällen die behördlichen Grenzwerte überschreiten und zum lokalen Aussterben vieler Gewässerorganismen, die ein wichtiges Glied in der Nahrungskette sind, führen. Um unsere Gewässer entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zu schützen, müssen sich Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel ändern, aber auch deren Anwendung in der landwirtschaftlichen Praxis.“
Auch Prof. Ralf Schäfer von der Universität Koblenz-Landau beklagt: „Das aktuelle Zulassungsverfahren ignoriert weiterhin weitestgehend die reale Umweltsituation“. Die European Food Safety Authority (EFSA) und die Europäische Kommission seien in der Pflicht, etwas zu verändern und die unterschiedliche Empfindlichkeit der in den verschiedenen Ökosystemen vorkommenden Organismen in den Zulassungsverfahren stärker zu berücksichtigen.
Außerdem würden weitere Umweltbedingungen die Empfindlichkeit gegenüber Pflanzenschutzmitteln beeinflussen. Dazu zählen die Autoren etwa das Klima, die Entfernung zu anderen Lebensräumen und das Vorhandensein weiterer Stressoren wie zum Beispiel überhöhte Nährstoffeinträge oder klimatische Extremereignisse. In der landwirtschaftlichen Praxis werden deshalb meist mehrere Pestizide in Form von Tankmischungen und Spritzserien auf die Felder gebracht. Das führt dazu, dass Organismen in der Regel gegenüber Mischungen exponiert sind.
Auch dieser Aspekt wird laut der Expertengruppe derzeit unzureichend geprüft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen daher, bei der Risikobewertung die landwirtschaftliche Praxis und die reale Umweltsituation stärker zu berücksichtigen, und schlagen eine Reihe von Anpassungsmaßnahmen vor. So sollte man in einem ersten Schritt strengere Sicherheitsfaktoren im Zulassungsverfahren verwenden, darüber hinaus Kosten und Nutzen von neuen Produkten bei der Zulassung berücksichtigen und auch prüfen, ob es zum Beispiel bereits umweltschonendere Alternativen auf dem Markt gibt. Mittelfristig müsste das aktuelle Zulassungsverfahren jedoch durch eine beschränkte Zulassung ersetzt werden, bei der die Umweltauswirkungen in ausgewählten Gebieten unter realen Anwendungsbedingungen untersucht werden. „Solch eine Überwachung kann auf der aktuell im Rahmen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) praktizierten Umweltüberwachung aufbauen und etablierte Indikatorsysteme für die Wirkung von Pflanzenschutzmitteln in Gewässern nutzen (http://www.systemecology.eu/indicate/), betont UFZ-Forscher Liess.
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ
www.ufz.de