27.10.2020 – Der Verlust riesiger Eismassen kann zu der Erwärmung beitragen, die diesen Verlust und weitere Risiken verursacht. Eine neue Studie quantifiziert diese Rückkopplung nun durch die Untersuchung langfristiger Wenn-Dann-Szenarien.
Wenn etwa das arktische Meereis im Sommer vollständig schmelzen würde – ein Szenario, das zumindest vorübergehend innerhalb dieses Jahrhunderts Realität werden kann, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen aus dem Verfeuern fossiler Brennstoffe anhält –, könnte dies am Ende zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung von etwa 0,2°C führen. Diese Erwärmung ist jedoch nicht zusätzlich zu den IPCC-Projektionen, da diese bereits die relevanten Mechanismen berücksichtigen. Nun konnten die Wissenschaftler aber die Auswirkungen des Eisverlusts von anderen Effekten trennen und quantifizieren. Die 0,2°C sind nicht wenig angesichts der Tatsache, dass die globale Mitteltemperatur derzeit bereits etwa ein Grad höher liegt als in vorindustrieller Zeit, und dass die Regierungen weltweit eine Begrenzung deutlich unter zwei Grad vereinbart haben.
„Wenn die globalen Eismassen schrumpfen, verändert dies, wieviel des auf die Erdoberfläche einstrahlenden Sonnenlichts zurück in den Weltraum reflektiert wird. Das Schrumpfen der Eisdecke in der Arktis legt mehr von dem dunkleren Ozeanwasser frei, das dann mehr Energie aufnimmt und sich erwärmt“, sagt Nico Wunderling, Hauptautor der Studie. „Dies wird als Albedo-Feedback bezeichnet. Es ist, als würde man im Sommer weiße oder schwarze Kleidung tragen. Wenn man dunkle Kleidung trägt, wird einem schneller heiß“, so Wunderling. Weitere Faktoren sind zum Beispiel die Zunahme des Wasserdampfs in der Atmosphäre durch die Erwärmung, wenn mehr Eis schmilzt. Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen, und Wasserdampf verstärkt den Treibhauseffekt.
Die grundlegenden Mechanismen sind seit langem bekannt, aber die Potsdamer Wissenschaftler konnten die Gesamtmenge der Erwärmung, die durch den globalen Eisverlust ausgelöst werden kann, tatsächlich berechnen.
„Kein kurzfristiges Risiko – aber jedes Zehntelgrad zählt“
„Das ist kein kurzfristiges Risiko“, sagt Ricarda Winkelmann, die die Forschungsgruppe leitet. „Die Eismassen der Erde sind riesig, was sie für unser gesamtes Erdsystem wichtig macht – und es bedeutet zugleich, dass sich ihre Reaktion auf die menschgemachten Klimaänderungen auf längeren Zeitskalen entfaltet, insbesondere die Reaktion der Eisschilde auf Grönland und der Antarktis. Aber selbst wenn einige der Veränderungen Hunderte oder Tausende von Jahren benötigen, um sich zu zeigen, ist es möglich, dass wir sie jetzt innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten auslösen.“
Die Wissenschaftler führten umfangreiche Computersimulationen durch. Die Effekte sind nicht immer einfach: Wenn zum Beispiel eine massive Eisdecke auf dem Land schrumpft, kann es auf dem freiwerdenden Boden immer noch Schnee geben – der weiterhin das Sonnenlicht reflektiert, genau wie zuvor das Eis. Wenn die Gebirgsgletscher und das Eis auf Grönland und der Westantarktis verschwinden würden, würde deshalb die direkt durch den Eisverlust verursachte zusätzliche Erwärmung wahrscheinlich nur 0,2 Grad zusätzlich zu den 0,2 Grad durch das Schmelzen des arktischen Sommer-Meereises betragen.
„Aber jedes Zehntelgrad Erwärmung zählt für unser Klima“, sagt Winkelmann. „Die Verhinderung von Rückkopplungen im Erdsystem, gleichsam Teufelskreisen, ist daher dringender denn je.“
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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