Mengenvernunft und Qualität statt Exportstrategie
3.200 landwirtschaftliche Betriebe haben im Jahr 2015 in Deutschland die Milchviehhaltung aufgegeben. Wenn Politik, Molkereien und Handelsketten ihr bisheriges Vorgehen nicht schnell ändern, werden im laufenden Jahr 2016 noch mehr Betriebe aufgeben.
Das befürchten die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Verein „Aktion Agrar – Landwende jetzt“ und das globalisierungskritische Netzwerk Attac. Sie haben heute in Schwerin mit einer symbolischen Aktion auf die dramatische Situation insbesondere der Milchviehbetriebe aufmerksam gemacht und fordern zum aktiven Gegensteuern auf.
Die Bauern hätten mit außergewöhnlich lang anhaltenden Tiefstpreisen zu kämpfen, die weit unterhalb ihrer Kosten liegen, teilen die Verbände mit. Die Molkereien zahlten den Bauern heute je Liter Milch rund 15 Cent oder 40 Prozent weniger aus als vor zwei Jahren. Mit jedem Liter Milch machten die Betriebe Verlust. Ursache der Tiefstpreise seien Überschüsse, da mehr erzeugt werde als es kaufkräftige Nachfrage gebe. Die Exportträume von Politik, Molkereien und Bauernverband seien geplatzt. Auch in der Krise werde nicht weniger Milch erzeugt, sondern noch mehr, weil viele Betriebe jeweils für sich den Einkommensrückgang über mehr Menge auszugleichen versuchten. Die Folgen von Dumpingexporten seien weltweit dramatisch für Bäuerinnen und Bauern und für die ländliche Entwicklung.
„Wir müssen runter von den Überschüssen, und zwar mit Vernunft und koordiniert. Wir Bauern sind bereit dazu. Wer in Politik und Wirtschaft dagegen weiter nur abwartet, der drängt bewusst Tausende gesunde Betriebe zum Aufgeben. Das ist eine brutale Wertevernichtung. Produktive Hofstellen werden stilllegt und ein ganzer Berufstand demotiviert“, warnt der AbL-Bundesvorsitzende Martin Schulz in Schwerin. Politik, Molkereien, Schlachthöfe, Handelsketten und die Bauern müssten jetzt gemeinsam Verantwortung wahrnehmen, appelliert Schulz im Vorfeld der Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern nächste Woche in Göhren in Mecklenburg-Vorpommern.
AbL, Aktion Agrar und Attac fordern die Molkereien auf, nicht mehr die größten Milchmengen je Betrieb mit einem Bonus zu belohnen, sondern nunmehr diejenigen Betriebe, die ihre Milcherzeugung kurzfristig um einige Prozent zurückfahren. „Damit leisten sie einen Beitrag zum Überschussabbau, was allen Betrieben zugute kommt und daher einen Bonus rechtfertigt“, erklärt Ottmar Ilchmann, stellvertretender AbL-Vorsitzender. Bund und Länder müssten ihrerseits alle Möglichkeiten nutzen, um die Molkereien mit dafür zu gewinnen.
Auch die Handelsketten seien gefordert, die Molkereien zum aktiven Überschussabbau zu bewegen. „Anstatt einen Preiskampf bei Lebensmitteln auszurufen, sollte der Handel von denjenigen Molkereien und Schlachthöfen beziehen, die auf besondere Qualitäten und Mengenvernunft setzen. Einfach fünf Cent mehr je Kilo sind uns zu wenig, es geht um Verantwortung für die bäuerliche Landwirtschaft“, so Ilchmann.
Jutta Sundermann von der Kampagne „Kühe und Bauern nicht verpulvern“, die Aktion Agrar und Attac im Januar ins Leben riefen, geht auch auf die internationalen Zusammenhänge ein: „Wir fordern den Abschied von der Export-Illusion: Wir brauchen eine bedarfsgerechte Milchproduktion statt Billigpulver für den Weltmarkt. Milchpulver wird als anonymes Massenprodukt auf die Märkte anderer Länder gepumpt und zerstört auch dort die bäuerliche Landwirtschaft. Die Bundesregierung muss sich auf der EU-Ebene für einen Kurswechsel weg von der Exportorientierung einsetzen. Weder der Export noch die Produktion von Milchpulver darf durch Subventionen gestützt werden“, erklärt Sundermann. „Zudem fordern wir eine Qualitätsoffensive und die Erweiterung von Tierschutz- und Weidehaltungsprogrammen. Denn Kühe müssen auf die Weide!“, so Sundermann.
Der Landesvorsitzende der AbL Mecklenburg-Vorpommern, Hans-Joachim Bienstein, wendete sich im Besonderen an den Landesminister Dr. Till Backhaus: „Minister Backhaus hat in diesem Jahr den Vorsitz der Agrarministerkonferenz inne und trägt damit besondere Verantwortung für die bäuerlichen Betriebe in ganz Deutschland. Der muss er gerecht werden auch gegen die Interessen industrieller Großagrarstrukturen, die in Mecklenburg-Vorpommern meinen, sie könnten die Politik für sich instrumentalisieren. Der Minister muss sich auch gegen industrielle „Landjäger“ stellen. Wir brauchen ein Agrarstrukturgesetz, das gerade bäuerlichen Betrieben die Chance für Pacht und Kauf von Boden ermöglicht. Die Agrarministerkonferenz nächste Woche muss Perspektiven für die vielfältigen bäuerlichen Betriebe im Schulterschluss mit der Gesellschaft eröffnen. Viele Bauernhöfe braucht das Land“, so Bienstein.
[DE] 08. April 2016 – Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL)
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