Diese Woche treffen sich die Regierungs-Chefs der EU Mitgliedsländer in Brüssel, um die Einführung eines ehrgeizigen Reduktionsziels für Treibhausgase bis 2030 zu diskutieren. Obwohl die weltweiten Klimaverhandlungen nur langsam voran kommen, könnte Europa als Pionier des Klimaschutzes die zukünftige globale Erwärmung um mehr als ein Grad verringern – wenn sein Handeln Signalwirkung für andere Länder hat, so dass diese sich ab 2030 gleichfalls beteiligen. Dies zeigt eine jetzt veröffentliche Studie. Zwar müssten die großen Emittenten wohl bereits deutlich vor 2030 am globalen Klimaschutz mitwirken, um ein zeitweises Überschreiten der Zwei-Grad-Grenze für die globale Erwärmung noch zu verhindern. Doch selbst wenn sie erst ab 2030 die notwendigen Schritte unternähmen, würde das Überschreiten auf etwa 0,2 bis 0,4 Grad Celsius beschränkt bleiben. Die Kosten der Vorreiterrolle wären für die EU gering. Nachzügler hätten zwar den Vorteil anfänglich geringerer Kosten, aber später höhere Kosten beim Übergang zur überwiegend CO2-freien Wirtschaftsweise.
„Die krisengeschüttelte EU ist unsicher, ob sie es sich noch leisten kann, beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle einzunehmen“, sagt Leit-Autor Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Falls die internationale Klimapolitik weiterhin wenig Fortschritte macht, und falls es eines Wegbereiters bedarf, um dem Ganzen eine Richtung zu geben, könnte die EU-Initiative viel bewegen. Eine Reduzierung um mehr als ein Grad würde bedeuten, dass eine ganze Menge Klimaschäden vermieden werden könnten.“ Diese Strategie funktioniert aber nur, wenn der Rest der Welt sich letztendlich anschließt, da eine einzelne Region allein den Klimawandel nicht wirkungsvoll bekämpfen kann. „Beispielhaftes Handeln muss andere Länder überzeugen“, sagt Kriegler. „Daher sichern Vorreiter den Erfolg ihrer Anstrengungen am besten damit, dass sie die ökonomische Machbarkeit demonstrieren und es für andere attraktiv machen, sich daran zu beteiligen.“
Die zusätzlichen Kosten für die EU werden als gering eingeschätzt, da sie bereits heute eine wirksame Klima– und Energiepolitik betreibt, bei der eine Emissionsreduzierung von 30 Prozent bis 2030 erwartet wird. Die Studie untersucht die mögliche Vorreiterrolle der EU in Übereinstimmung mit ihren Plänen für eine Reduzierung ihres Ausstoßes von Treibhausgasen um 40 Prozent bis 2030, verglichen mit dem Emissionsniveau von 1990.
Verlagerung von Emissionen nur in geringem Umfang
Ein weiterer Grund, warum die Kosten für Europa als gering eingeschätzt werden, ist der voraussichtlich geringe Umfang des so genannten ‚Carbon Leakage‘. Bei einer Beschränkung des Ausstoßes von Treibhausgasen besteht oft die Befürchtung, dass energieintensive Industrien in Teile der Welt mit niedrigeren Umweltstandards abwandern. Oder dass ein rückläufiger Verbrauch von fossilen Brennstoffen durch Klimaschutzmaßnahmen in einer Region die Weltmarktpreise für Kohle, Öl und Gas reduziert und hierdurch den Verbrauch anderenorts steigen lässt. Beide Effekte könnten die Bemühungen von Vorreitern zunichte machen. In der Studie wird dieser Effekt jedoch als gering eingeschätzt. Nur etwa 20 Prozent oder weniger der Emissionen würden verlagert statt vermieden werden, so das Ergebnis des ganz überwiegenden Teils der Computersimulationen. Diese Leakage-Rate misst den Anteil von zusätzlichen Emissionen im Rest der Welt verglichen mit der Emissionsreduzierung des Vorreiters.
Falls China zusammen mit der EU auf dem Weg zu einer weltweiten Emissionsreduktion voran ginge, könnte dies die Emissionen bis 2030 um ein vielfaches dessen verringern, was die EU allein erreichen könnte. Damit würde sich die Wahrscheinlichkeit, die globale Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten, leicht erhöhen. Chinas kurzfristige Vermeidungskosten wären allerdings deutlich höher als die der Europäischen Union. „Damit für China ein solches Szenario interessant wird, müsste die Betrachtung auch auf zusätzlichen Nutzen von Klimaschutzmaßnahmen wie namentlich die verringerte Luftverschmutzung ausgeweitet werden“, sagt Kriegler. „Abgesehen hiervon müssen Nachzügler abwägen zwischen niedrigeren kurzfristigen Kosten und später höheren Übergangskosten. Und dies würde auch für China gelten.“
Investitionen in fossile Infrastruktur könnte Milliardenverschwendung sein
Wenn Nachzügler sich an einem globalen Regelwerk für den Klimaschutz beteiligen, bedeutet das für sie eine Herausforderung: sie müssen in kurzer Zeit den Sprung von einer schwachen zu einer starken Emissionsreduktion schaffen, so die Studie. „Das Risiko, auf eine auf fossilen Brennstoffen basierende Infrastruktur festgelegt zu sein, ist ein Hauptargument gegen verzögerndes Handeln“, sagt Ko-Autor Keywan Riahi vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA). Dies trifft zum Beispiel auf den Neubau von Kohlekraftwerken zu. „Heutige Energieplaner treffen Investitionsentscheidungen in Milliardenhöhe – die sich als falsch erweisen könnten, sobald eine Klimapolitik eingeführt ist. Daher ist eine verzögerte Kllimapolitik kostenträchtig; ganz abgesehen von dem Risiko, dass strenge Klimaziele außer Reichweite geraten könnten.“
Die neue Multimodell-Studie ist Teil des AMPERE-Projektes („Assessment of Climate Change Mitigation Pathways and Evaluation of the Robustness of Mitigation Cost Estimates“) und wird in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Technological Forecasting & Social Change veröffentlicht. Mit AMPERE wurde eine europäische Plattform von modernsten Energie-Ökonomie-Computermodellen geschaffen, mit welchen eine Reihe von Analysen zu den Folgen kurzfristiger Klimapolitik für die Erreichung langfristiger Klimaziele durchgeführt worden sind. Das Projekt wird vom PIK und IIASA koordiniert. Finanziert wird es von der Europäischen Union.
[DE] 19. März 2014 – Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK) e. V.www.pik-potsdam.de