Follow up – Wirksamkeit von Schutzgebieten

Wie kann es sein, dass die Schutzgebiete ihre Kernaufgabe der Bestandserhaltung für manche Vogelarten nicht erfüllen?

Eindruck des Schutzgebiets Nuthe Nieplitz Niederung in Brandenburg © Johannes Wahl
Eindruck des Schutzgebiets Nuthe Nieplitz Niederung in Brandenburg © Johannes Wahl

Ende Oktober wurde von einem Forscherinnenteam der Universität Göttingen und des DDA eine Studie zu der Wirksamkeit von Vogelschutzgebieten im Fachjournal Biological Conservation publiziert. Gerade im Vergleich über die Zeit, also mit dem Fokus auf die Wirksamkeit der auf das Vorkommen besonders schutzwürdiger Vogelarten, kamen dort nicht nur positive Ergebnisse heraus. Im Gegenteil: die Studie zeigte, dass im Vergleich zur „Normallandschaft“ 9 der 42 Arten einen signifikant negativeren Trend der Vorkommenswahrscheinlichkeit innerhalb von Vogelschutzgebieten haben. Für 26 Arten war der Trend in Schutzgebieten identisch mit dem Trend in der Normallandschaft, was darauf hindeutete, dass die Schutzgebiete keinen signifikanten Beitrag zu einer positiveren Entwicklung leisten.

Nachdem wir hier auf unserer Webseite und auch auf Social Media über diese Ergebnisse berichtet hatten, erreichten uns dazu in unterschiedlicher Form die Folgefrage: Wie kann es sein, dass die Schutzgebiete ihre Kernaufgabe der Bestandserhaltung für manche Vogelarten nicht erfüllen? Insgesamt gibt es auf diese Frage leider keine eindeutige Antwort. Aber da wir im DDA zu dem Thema Bestandsentwicklungen und den möglichen Verbesserungen der Lebensumstände für bedrohte Vogelarten intensiv forschen, befassen wir uns in den letzten Jahren verstärkt mit der Frage, wie Schutzgebiete wirken und wie Maßnahmen für Vogelarten wirksamer gestaltet werden können:

Schutzgebiete in Deutschland sind nicht automatisch naturbelassene oder für Vögel attraktive Gebiete

„Natura 2000 Gebiete sind keine naturbelassenen Gebiete. Die Nutzung der Flächen für andere, menschliche Zwecke ist nicht ausgeschlossen.“ (Europäische Umweltagentur, EEA)

1992 beschloss die EU den Aufbau eines weltweiten Schutzgebietsnetzes, um den Erhalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten zu sichern: Natura 2000. In Deutschland umfasst Natura 2000 die im Rahmen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie gemeldeten Gebiete. Diese können sich räumlich überlagern. Circa 15,5% der gesamten Landfläche sind durch Natura 2000 abgedeckt. Die Vogelschutzgebiete als Teil von Natura 2000 sollen speziell den Erhalt und die Wiederherstellung von Vogelpopulationen entsprechend der EU Vogelschutzrichtlinie garantieren. In Deutschland gibt es 742 Vogelschutzgebiete.

Für Natura 2000 Gebiete gelten folgende Richtlinien:

– Die Gebiete sind durch die Länder rechtlich als Natur- oder Landschaftsschutzgebiete zu sichern. Dies soll Aktivitäten verhindern, die Arten erheblich stören oder Lebensräume, für die das Gebiet ausgewiesen ist, schädigen könnten

– Wenn erforderlich, sollen positive Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung dieser Lebensräume und Arten ergriffen werden, um ihren Erhaltungszustand zu verbessern

– Die Nutzung durch Menschen ist weiterhin möglich und im Einklang mit den Erhaltungszielen erwünscht, um Interessen des Naturschutzes mit wirtschaftlichen/sozialen Interessen in Einklang zu bringen

Insgesamt bieten diese Regelungen einen großen Ausgestaltungsspielraum für ausgewiesene Flächen. Manche Schutzgebiete sind naturbelassen. Doch 40 % der Natura 2000 Flächen sind landwirtschaftliche Nutzfläche und 50% unterschiedlich intensiv bewirtschaftete Waldfläche.

In der Praxis kann das dazu führen, dass sich viele ausgewiesene Schutzgebiete auf den ersten Blick nicht von ihrer nicht als Schutzgebiet ausgewiesenen Umgebung unterscheiden. Teilweise kommt es so zu Situationen, in denen außerhalb von Schutzgebieten aufwändige Schutzprogramme mit z.B. intensivem Nestschutz oder der Wiederherstellung von Lebensräumen attraktivere Brut- oder Rast-Bedingungen bieten.

Im Natura 2000 Viewer sind alle Natura 2000 Gebiete in einer interaktiven Karte verzeichnet. Mit einem Klick auf das Gebiet können Sie sich anzeigen lassen, seit wann die Gebiete bestehen und welche Arten durch die Ausweisung dort geschützt werden sollen. Vielleicht kennen Sie einige dieser Gebiete selbst und können sich einen Eindruck von den Voraussetzungen in Ihrem Gebiet machen.

In vielen Vogelschutzgebieten fehlt es an konkreten und zielgerichteten Maßnahmen

Zusätzlich zu der Gebietsausweisung und der Verhinderung von „Aktivitäten, die Arten erheblich stören (siehe oben)“ ist jedes ausgewiesene Natura 2000 Gebiet angehalten die notwendigen Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen durch sogenannte Managementpläne festzulegen. In diesen Managementplänen finden sich idealerweise Umsetzungspläne für an das Gebiet und die ausgewählten Zielarten angepassten Maßnahmen, deren Finanzierung und Umsetzung, sowie deren Messbarkeit.

Eine bisher unveröffentlichte Arbeit des DDA aus dem Jahr 2020 (L. Teckentrup) zeigt allerdings:

– in Deutschland verfügten nur 53 % der Vogelschutzgebiete entweder für das gesamte Gebiet oder zumindest für einen Teil ihrer Fläche über einen Managementplan

– für 12 % der Schutzgebiete waren Bewirtschaftungspläne in Vorbereitung

– für 35 % lag (noch) kein Plan vor

Inwieweit die schon bestehenden Pläne regelmäßig angepasst, aktualisiert oder umgesetzt werden, ist nicht bekannt. Erhaltungsmaßnahmen und ihre Auswirkungen auf die Zielarten sind selten dokumentiert, und es fehlen messbare Ziele (ebd.). In Bezug auf das Fehlen von Maßnahmen in EU-Vogelschutzgebieten wurde Deutschland dieses Frühjahr auch bereits von der EU-Kommission verwarnt. Die bisherigen Maßnahmen Deutschlands werden von der Kommission als unzureichend betrachtet, um die Anforderungen der Vogelschutzrichtlinie zu erfüllen. Eben deshalb, weil es in vielen eigentlich geschützten Gebieten, dennoch weiterhin zu deutlichen Bestandsrückgängen kam. Konkret wird Deutschland vorgeworfen, für fünf Vogelarten nicht genügend Schutzgebiete ausgewiesen und keine Erhaltungsmaßnahmen für 220 der insgesamt 742 Schutzgebiete festgelegt zu haben.

Vielleicht funktioniert die Netzwerk-Idee (noch) nicht so gut, wie gedacht?

Damit sich Bestände stabilisieren können, reicht es oft nicht aus, wenn es vereinzelt geschützte Räume auf der Landkarte gibt. Stattdessen sind flächendeckende Netzwerke von möglichen Überwinterungs-, Rast-, Nahrungs- und Brutgebieten nötig, um gerade Zugvögel oder Arten mit größerem Bewegungsradius angemessene Lebens- und Entwicklungsbedingungen zu ermöglichen. Die Idee von Natura 2000 war eben deshalb, das größte zusammenhängende Netz von Schutzgebieten der Welt auszuweisen.

Doch auch in anderen europäischen Ländern gibt es gemischte Erkenntnisse über die Wirksamkeit der eigenen Schutzgebiete, einschließlich vieler Flächen des Natura-2000-Netzes (Cooke et al., 2023; Santangeli et al., 2023; Terraube et al., 2020). Dies deutet darauf hin, dass die Idee von Natura 2000 als Schutzgebiets-Netzwerk in der Praxis (noch) nicht ausreichend funktioniert.

Wie geht es weiter?

Die jetzt mithilfe von ornitho Daten veröffentlichten Analysen sind ein wichtiger erster Schritt, um die Wirksamkeit der Vogelschutzgebiete zu untersuchen. Doch um diese Fragen anhand von regelmäßigem, gezieltem Monitoring zu beantworten, fehlt es derzeit an umfangreichen und bundesweit einheitlichen Erfassungen der Vogelbestände. Wir setzen uns deshalb dafür ein, gemeinsam mit den Fachbehörden von Bund und Ländern ein Monitoring in Schutzgebieten aufzubauen -> Mehr Informationen zum VM-S, dem Monitoring in Schutzgebieten

Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V.
www.dda-web.de