Zeitgleich zur Biodiversitätskonferenz COP15 in Montreal stand heute in London die Zukunft gefährdeter Wale im Mittelmeer auf der Tagesordnung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (IMO). Der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt verständigte sich auf der 79. Tagung (MEPC) darauf, das nordwestliche Mittelmeer als ein besonders empfindliches Meeresgebiet (PSSA) auszuweisen. Der Grund: Schiffskollisionen bedrohen Pott- und Finnwale, die in diesem Gebiet mit intensivem Seeverkehr noch immer leben. Den Schutz dieses Meeresgebietes hatten die Länder Frankreich, Italien, Monaco und Spanien gefordert.
«Das PSSA für das nordwestliche Mittelmeer ist ein Meilenstein im Walschutz. Es ist das Erste, das mit dem Ziel Schiffskollisionen für gefährdete Walen zu verhindern, vorgeschlagen und genehmigt wurde», sagte Nicolas Entrup, Direktor für internationale Beziehungen bei OceanCare.
Diese Entscheidung des MEPC erkennt Schiffskollisionen als die Hauptursache der vom Menschen verursachten Todesfälle von Finn- und Pottwalen im nordwestlichen Mittelmeer an. In dem ökologisch sehr wertvollen Gebiet verkehren jährlich 220 000 Schiffe. Handelsschiffe durchqueren es mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 14 bis 20 Knoten, Schnellfähren sind mit bis zu 35 Knoten unterwegs.
Die Kollisionen tragen erheblich zum anhaltenden Rückgang der Bestände dieser beiden Arten bei. Sie bergen die Gefahr, dass Pott- und Finnwale weiterhin noch stärker dezimiert werden. Tatsächlich sind beide Walarten im Mittelmeer auf der Roten Liste der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur (IUCN) als stark gefährdet eingestuft. Die Finnwalpopulation wird auf nur noch etwa 1 800 geschlechtsreife Tiere geschätzt. Dies bedeutet einen Rückgang um etwa 50% in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten. «Wale sind die grössten Tiere der Welt, aber im Vergleich zu einem Containerschiff sind sie winzig. Was kann die Überlebenschancen von Walen vergrössern, die mit einem Schiff zusammenstösst? Laut der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten steigt die Wahrscheinlichkeit zu überleben, wenn Schiffe nicht schneller als 10 Knoten fahren», sagt Carlos Bravo, OceanCare-Vertreter auf der IMO/MEPC Konferenz in London.
Für das nordwestliche Mittelmeer sind laut wissenschaftlicher Studien kaum Vorhersagen möglich, wo sich die grossen Wale zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhalten, da sie das gesamte Gebiet als Lebensraum nutzen. Demnach würde hier die Option für Schiffe keinen Erfolg haben, eine andere Fahrtroute zu wählen, um Zusammenstösse zu vermeiden. Hier gibt es deshalb nur einen Weg, der tödliche Schiffskollisionen wirksam vermeidet: langsamer fahrende Schiffe.
Tatsächlich hat der Wissenschaftliche Ausschuss des Abkommens zur Erhaltung der Wale im Schwarzen Meer, im Mittelmeer und im angrenzenden Atlantik (ACCOBAMS) im November 2021 eine Empfehlung angenommen, in der er betont, «wenn es nicht möglich ist, Routen einzurichten, die Wale von Schiffen getrennt halten, ist die einzige bewährte Massnahme zur Verringerung tödlicher Kollisionen mit den meisten Grosswalen die Reduzierung der Geschwindigkeit».
Leider handelt es sich bei den für das PSSA vorgeschlagenen Schutzmassnahmen nur um Empfehlungen an die Seeleute, z. B. «mit besonderer Vorsicht innerhalb der NW-Med PSSA zu navigieren, wenn und wo grosse und mittelgrosse Wale anwesend sind und die Schiffsgeschwindigkeit freiwillig auf 10 bis 13 Knoten zu begrenzen». «Spanien, Frankreich, Italien und Monaco haben einen ersten Schritt in die richtige Richtung unternommen, als sie dieses PSSA in ökologisch wertvollen Gewässern vorschlugen. Jedoch sind die in ihrem Vorschlag enthaltenen Schutzmassnahmen von freiwilliger Natur. Deshalb kann ein PSSSA an sich das Risiko tödlicher Kollisionen kaum verringern», so Bravo. «Nur gleiche Bedingungen für alle Schifffahrtsunternehmen wie eine verbindliche Geschwindigkeitsreduktion für Schiffe könnten Grosswale wirksam schützen», fügte er hinzu.
Ökologischer Wert des PSSA-Gebiets
Das PSSA für das nordwestliche Mittelmeer umfasst die Gewässer zwischen Valencia und Genua. Sie werden von Walforschern als kritischer Lebensraum für Finn- und Pottwale eingestuft und umfassen ökologisch hoch wertvolle Gebiete. Dazu gehören:
- der Walmigrationskorridor für Wale und Delphine zwischen der Küste Kataloniens und Valencias und den Balearen. Die spanische Regierung und das Übereinkommen von Barcelona erklärten den Bereich zum Meeresschutzgebiet und besonders geschützten Gebiet von mediterraner Bedeutung (SPAMI)
- das Walschutzgebiet Pelagos im Ligurischen Meer
- die wichtigen Gebiete für Meeressäugetiere (IMMA) mit der Bezeichnung «Gulf of Lions Shelf» und «Slopes and Canyons System of the North-Western Mediterranean Sea».
Der Beschluss wird im Juli 2023 auf der nächsten MEPC-Sitzung endgültig, nachdem der Unterausschuss für Navigation, Kommunikation und Such- und Rettungswesen den Vorschlag gemäss interner IMO-Verfahren geprüft hat
OceanCare
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