Maßnahmen der EU-Agrarpolitik zum Schutz der Artenvielfalt laufen bisher oft ins Leere
„Greening“ nennt sich ein Instrument, mit dem die EU den Artenschwund in der Agrarlandschaft stoppen will. Das Prinzip ist einfach: Landwirte bekommen Geld dafür, dass sie auf ihren Flächen bestimmte Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna umsetzen. Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), der Universität Göttingen und weiterer deutscher, österreichischer und französischer Forschungseinrichtungen haben nun untersucht, wie effektiv dieses Instrument ist. Im Fachjournal Conservation Letters kommen sie zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Maßnahmen bringen oft wenig für die Artenvielfalt, für die Landwirte sind sie zum Teil schlecht umsetzbar. Und die Steuerzahler kostet das Ganze trotzdem viel Geld. Es gibt aber Möglichkeiten, die Situation für alle Seiten zu verbessern.
Die Bestände der Feldlerche sind im Sinkflug, die Bestände etlicher Hummel- und Schmetterlingsarten sind massiv geschrumpft. Und wer nach den blauen Blüten des früher weit verbreiteten Acker-Rittersporns sucht, wird heute vielerorts enttäuscht. Die Artenvielfalt der europäischen Agrarlandschaften ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Um dem etwas entgegenzusetzen, hat die EU bei der letzten Reform ihrer Agrarpolitik im Jahr 2013 ein neues Instrument eingeführt. Im Rahmen dieses sogenannten Greenings bekommen Landwirte eine Prämie, die in Deutschland bei 86 Euro pro Hektar liegt. Im Gegenzug müssen sie seit Anfang 2015 bestimmte Maßnahmen umsetzen.
Was heißt Greening?
Dabei geht es zum einen darum, Wiesen und Weiden dauerhaft zu erhalten. Zum anderen soll der Ackerbau vielfältiger gestaltet werden. Betriebe, die zwischen zehn und 30 Hektar Ackerland bewirtschaften, müssen daher mindestens zwei verschiedene Feldfrüchte anbauen, ab 30 Hektar sind es drei. Und schließlich müssen Landwirte, die mehr als 15 Hektar Ackerland haben, fünf Prozent davon als sogenannte ökologische Vorrangflächen zur Verfügung stellen.
Für letztere sieht die EU 19 verschiedene Varianten vor. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Flächen brachliegen zu lassen, ungenutzte Pufferstreifen entlang von Gewässern zu schaffen oder besondere Landschaftsstrukturen wie Hecken oder Teiche zu erhalten. Die Landwirte können aber auch Hülsenfrüchte wie Erbsen, Ackerbohnen oder Lupinen anbauen, die Stickstoff aus der Luft fixieren. Oder sie können Zwischenfrüchte wie Ackersenf oder Ölrettich einsäen, die das Feld auch im Winter grün halten und so Bodenerosion verhindern. „Welche Maßnahmen der Landwirt aus diesem Katalog umsetzt, kann jeder selbst entscheiden“, erklärt Dr. Guy Pe’er, der am UFZ die Studie geleitet hat.
Allerdings war keineswegs jeder Landwirt von dem neuen Instrument begeistert: Etliche der Regelungen seien einfach zu kompliziert, lautete eine häufig geäußerte Kritik. Aus Sicht vieler Ökologen und Naturschützer gingen die Vorgaben dagegen nicht weit genug. Derzeit flammen solche Diskussionen verstärkt wieder auf. Denn im März 2017 wird die EU-Kommission einen Zwischenbericht zum Greening veröffentlichen. Das wäre auch eine Gelegenheit, die eine oder andere Vorschrift zu verändern. Dazu muss man aber zunächst einmal wissen, wie sich die bisherigen Regelungen bewährt haben.
Greening auf dem Prüfstand
Diese Bilanz haben die UFZ-Forscher nun gemeinsam mit Kollegen der Universitäten in Göttingen, Wien, Bern, Klagenfurt und Toulouse sowie des Instituts für Agrarökologie und Biodiversität in Mannheim gezogen. „Wir wollten unter anderem wissen, was die verschiedenen ökologischen Vorrangflächen für die Biodiversität bringen“, erklärt Guy Pe’er. Also hat das Team die Erfahrungen von 88 Ökologen aus 17 europäischen Ländern ausgewertet, die sich speziell mit Agrarökosystemen beschäftigen. Auf einer Skala von plus fünf bis minus fünf sollten diese Experten angeben, wie stark verschiedene Tier- und Pflanzengruppen von den einzelnen Maßnahmen profitieren.
„Dabei ist zum Beispiel herausgekommen, dass Pufferstreifen und Brachland besonders wichtig für die Biodiversität sind“, erklärt Guy Pe’er. Auch die besonderen Landschaftsstrukturen wie etwa Hecken oder traditionelle Steinmauern bringen nach einhelliger Experten-Meinung einen großen Nutzen für die Artenvielfalt. Andererseits gibt es auch Greening-Maßnahmen, in denen Ökologen wenig Sinn erkennen. „Der Anbau von Zwischenfrüchten oder Stickstoff-Fixierern bringt für die Artenvielfalt nicht viel“, sagt Guy Pe’er. „Das gilt besonders, wenn auf den Flächen Pestizide eingesetzt werden dürfen“.
„Ausgerechnet sind genau diese beiden Varianten bei den Landwirten besonders beliebt“, ergänzt der Agrarökonom Dr. Sebastian Lakner von der Universität Göttingen. Zu diesem Ergebnis kommt ein zweiter Teil der Studie, für den die Forscher Daten aus den Agrarministerien der EU-Mitgliedsstaaten sowie der deutschen Bundesländer ausgewertet haben. Demnach setzen Europas Landwirte bisher vor allem drei Maßnahmen um. Auf rund 45 Prozent der Vorrangflächen in der EU wachsen Stickstoff-fixierende Hülsenfrüchte. Weitere 27 Prozent entfallen auf die Zwischenfrüchte, in Deutschland kommt der Anteil dieser Variante sogar auf 68 Prozent.
Die erste Option, mit der sich sowohl Ökologen als auch Landwirte anfreunden können, folgt dann erst auf Platz drei: Rund 21 Prozent der EU-weit ausgewiesenen Vorrangflächen sind Brachland. Nur sehr selten entscheiden sich die Landwirte für Pufferstreifen oder für Landschaftselemente, die für die Artenvielfalt besonders wichtig wären. „Was Ökologen für sinnvoll halten, ist also nicht unbedingt das, was auch die Landwirte gut finden“, resümiert Guy Pe’er. Insgesamt werden derzeit etwa drei Viertel aller Vorrangflächen in der EU auf eine Weise genutzt, die wenig oder gar keine Vorteile für die Artenvielfalt bringt.
„Unsere Studie darf jedoch nicht als pauschale Kritik an den Landwirten missverstanden werden“, betont Sebastian Lakner. „Die Landwirte treffen lediglich rationale ökonomische Entscheidungen im Rahmen der politischen Vorgaben und versuchen dabei, ihre Risiken zu minimieren“. So ist der Anbau von Zwischenfrüchten und Stickstoff-Fixierern deshalb so attraktiv, weil er sich einfach und kostengünstig umsetzen lässt. Pufferstreifen und besondere Landschaftselemente anzulegen und zu schützen, ist dagegen teurer und aufwändiger. Manchmal sind dabei auch noch organisatorische Hürden zu überwinden – etwa, wenn sich eine Hecke über die Flächen mehrerer Landbesitzer zieht. Und schließlich werden einige Greening-Varianten auch durch Details in den EU-Vorschriften unattraktiv. So müssen die Landwirte die Breite eines blütenreichen Randstreifens auf den Meter genau angeben. „Da befürchten viele, dass bei Kontrollen zum Beispiel Probleme mit der Breite eines Streifens festgestellt werden und sie dann durch eine Sanktion finanzielle Einbußen erleiden“, erklärt Sebastian Lakner.
Wie kann das Greening verbessert werden?
Mit der heutigen Situation sind also sowohl Landwirte als auch Ökologen unzufrieden. Und die Steuerzahler müssten es nach Ansicht der Forscher ebenfalls sein: „Der Staat fördert das Greening mit Steuergeldern und die Gesellschaft bekommt dafür nur eine geringe Gegenleistung in Form von Artenvielfalt“, sagt Sebastian Lakner. Wie also lässt sich für alle Beteiligten mehr erreichen? Zu dieser Frage haben die Forscher eine Reihe von mittel- und langfristigen Empfehlungen ausgearbeitet.
Eine Ausweitung der ökologischen Vorrangflächen von fünf auf sieben Prozent, wie sie die EU-Kommission derzeit diskutiert, wird die Lage nach Ansicht der Wissenschaftler nur wenig verbessern. Wichtiger sei es, jene Vorrangflächen abzuwerten oder abzuschaffen, die kaum oder gar keinen Nutzen für die Biodiversität bringen. Schon heute zählt ein Hektar Landschaftsstrukturen in den EU-Vorschriften deutlich mehr als ein Hektar Stickstoff-Fixierer. Für die erste Option muss der Landwirt also weniger Fläche zur Verfügung stellen als für die zweite. „Wenn man diesen Unterschied noch größer macht, lohnen sich die ökologisch wertvollen Varianten auch eher“, erläutert Sebastian Lakner.
Einige Maßnahmen wie etwa die Aufforstung können nach Ansicht der Forscher ganz aus dem Katalog gestrichen werden. „Eine Streichung der unwirksamen Optionen würde Greening vereinfachen, wie es Landwirte fordern“, sagt Dr. Yves Zinngrebe, Umweltpolitologe an der Universität Göttingen, der die Studie koordiniert hat. Doch die Liste der Verbesserungsvorschläge ist noch länger. So sollten die ökologisch so wertvollen Pufferstreifen in allen Mitgliedsstaaten auf der Liste der anerkannten Greening-Optionen stehen, was bisher nicht der Fall ist. „Ganz wichtig wäre es auch, auf den Vorrangflächen den Einsatz von Pestiziden zu verbieten“, sagt Guy Pe’er.
Ob Greening langfristig überhaupt das richtige Rezept gegen den Schwund der biologischen Vielfalt ist, bezweifeln die Forscher. Es gibt auf EU-Ebene die sogenannten Agrar-Umweltprogramme, mit denen umwelt- und naturverträgliche Bewirtschaftungsformen gefördert werden – und zwar maßgeschneidert für verschiedene Lebensraumtypen. „Das ist ein etabliertes Politik-Instrument, das die Ziele oft viel besser erreicht und dabei Steuergelder effizienter einsetzt“, sagt Sebastian Lakner. Diese Einschätzung teilen auch viele der Experten, die er und seine Kollegen für ihre Studie befragt haben. Für den dringend erforderlichen Ausbau der ökologisch wertvollen Flächen sowohl auf Grünland- als auch auf Ackerstandorten ist es wichtig, die Agrarumweltprogramme hierfür zielspezifisch auszubauen und für die Landwirte und Mitgliedsstaaten finanziell und kontrolltechnisch attraktiver zu machen. „Wir hoffen deshalb, dass unsere Vorschläge in Brüssel zur Kenntnis genommen werden“, so die Wissenschaftler.
[DE] 11. Januar 2017 – Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)www.ufz.de