Internationales Forscherteam beobachtet bisher unbekannte Vermischungsprozesse im antarktischen Ozean
10.11.2014/Kiel. Die Gewässer rund um die Antarktis nehmen eine Schlüsselstellung für die weltweite Ozeanzirkulation ein. Dank neuer Beobachtungstechniken haben Forscher aus den USA und Großbritannien unter Beteiligung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel dort bisher unbekannte Wirbel und Vermischungsprozesse entdeckt, die Einfluss auf den Wärmehaushalt der Antarktis haben. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Entdeckung in dem international renommierten Fachjournal Nature Geoscience.
Dass die Antarktis eine wichtige Rolle für das globale Klimageschehen spielt, ist zwar bekannt. Doch gleichzeitig sind viele Fragen zu Prozessen auf der und rund um die Antarktis bisher unbeantwortet. Speziell aus den Meeren rund um den Südkontinent gibt es verhältnismäßig wenig ozeanographische Messdaten, weil Eis und extreme Wetterbedingungen Forschungsarbeiten erschweren. „Das ist einer der Gründe, warum beispielsweise die Dynamik des Ozeans direkt vor den Küsten der Antarktis bisher nur grob bekannt und verstanden wird, obwohl hier Schlüsselstellen der weltweiten Tiefenzirkulation und Ozeanerwärmung liegen“, erklärt der Ozeanograph Dr. Sunke Schmidtko vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Zusammen mit Kollegen von der University of East Anglia in Großbritannien und vom California Institute of Technology in den USA veröffentlicht er jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Geoscience einen bisher einmaligen Datensatz über Wirbel und Vermischungsprozesse entlang der antarktischen Halbinsel. „Die Prozesse, die wir dort erstmals nachweisen konnten, sind bisher durch alle Messraster durchgefallen. Sie beeinflussen aber den Wärmehaushalt der gesamten Antarktis und haben damit Einfluss auf die Schmelze der Eisschelfe“, betont Dr. Schmidtko.
Möglich wurde der Datensatz dank autonomer Messsonden, sogenannter ozeanographischer Gleiter. Sie können mit einer Akkuladung wochen- oder sogar monatelang unabhängig von Forschungsschiffen im Ozean arbeiten. Dabei tauchen sie zwischen der Wasseroberfläche und 1000 Metern Wassertiefe hin und her. Gleichzeitig bewegen sie sich nach dem Prinzip von Segelflugzeugen vorwärts und sind auch steuerbar. Sensoren messen kontinuierlich Salzgehalt, Temperatur und Sauerstoff. Die Strömungsgeschwindigkeiten des Wassers können über die Auftauchpositionen des Gleiters bestimmt werden. „Diese Technologie gibt es erst seit etwa 10 Jahren und ihr Einsatz in der Antarktis ist absolutes Neuland“, erklärt Dr. Schmidtko.
Vier Gleiter der University of East Anglia und des California Institute of Technology setzten die Wissenschaftler im Frühjahr 2013 mit Hilfe des britischen Forschungs- und Versorgungsschiff JAMES CLARK ROSS vor der antarktischen Halbinsel aus. Acht Wochen vermaßen die Geräte dort die Wassermassen an der Grenze zwischen den flachen, sehr kalten Schelfmeeren und dem tiefen wärmeren Südozean. Jedes Mal, wenn eines der Geräte die Wasseroberfläche erreichte, funkte es seine Daten an die Heimatinstitute. So entstand ein deutlich höher aufgelöstes Bild der Hydrographie und der Strömungs- und Vermischungsprozesse in der Region als es mit schiffsgestützten Messungen früher möglich war.
Diese so gewonnenen Daten hatten es in sich. „Wir konnten hier erstmals Wirbel auf den Kontinentalschelf identifizieren, die nur wenige Kilometer groß sind. Und wir konnten starke vertikale Vermischung erkennen“, erläutert der Kieler Ozeanograph. Bei diesen Prozessen wird Wärme zwischen den tieferen wärmeren Schichten des Ozeans und flachen kalten, oft eisbedeckten, Schelfgebieten ausgetauscht – „So viel, dass die Prozesse Einfluss auf den Wärmehaushalt der gesamten Antarktis nehmen können“, sagt Schmidtko.
Die Region grenzt an das Weddell-Meer und ist eine der weltweit nur vier Regionen, in denen große Wassermassen von der Oberfläche in die Tiefe absinken und so das weltumspannende Band der Ozeanströmungen in Gang halten. Prozesse, die sich hier abspielen, haben also auch Einfluss auf globaler Skala. „Die jetzt endeckten Prozesse waren bisher natürlich in keinem Klima– oder Ozeanmodell enthalten. Das muss sich ändern, wenn wir zuverlässigere Aussagen über mögliche Veränderungen der Antarktis und Auswirkungen auf das globale Klima erhalten wollen“, betont der Kieler Ozeanograph.
[DE] 10. November 2014 – GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kielwww.geomar.de